Die COVID-19-Krise hat gezeigt, wie verwundbar unsere Wirtschaft und Gesellschaft ist. Im Zuge der Globalisierung wurden aus Gründen der Wirtschaftlichkeit durch Minimierung von Kosten und Lagerhaltung Netzwerke globaler Lieferketten geschaffen, in denen es nur wenige Drehkreuze wie beispielsweise internationale Häfen oder die Konzentration der Textilherstellung und entsprechender Verteilerzentren im asiatischen Raum gibt. Durch diese strömt der Großteil der weltweiten Güter- und Materialbewegungen. Im Fall einer internationalen Krise, wie etwa einer Pandemie, kann es dadurch schnell zu Engpässen in der Versorgung kommen, mit unter Umständen katastrophalen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Einen Weg, dieser Gefahr entgegenzuwirken und für zukünftige Krisen besser gerüstet zu sein, sehen Arijit Paul, Romana Rauter und Rupert Baumgartner vom Institut für Systemwissenschaften, Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung der Universität Graz in der „Glocalisation“. Dieser Begriff setzt sich aus „globalization“ und „localization“ zusammen und fasst inhaltlich eine kluge Kombination von globalem Handel und lokal-regionaler Produktion.
In der globalisierten Wirtschaft werden Waren dort hergestellt, wo die Produktionskosten am niedrigsten sind, egal ob dafür lange Transportwege in Kauf genommen werden müssen. „Nach dem Prinzip der ‘Glocalisation‘ sollte neben wenigen internationalen hochwertigen Produktionsstandorten die Herstellung von dem, was lokal erzeugt werden kann, regionalisiert werden“, sagt Rupert Baumgartner. Die COVID-19-Krise führte hier übrigens bereits zu einigen Initiativen. Unter anderem hat die Firma Hage Sondermaschinenbau zusammen mit der Medizinischen Universität Graz ein Notfallbeatmungsgerät entwickelt, das mittels 3D-Druck hergestellt wird.
Neben dem Vorteil, lokal flexibler auf veränderte Bedingungen reagieren zu können und unabhängiger von globalen Lieferketten zu sein, hat die Glocalisation auch positive ökologische und soziale Effekte. „Durch regionale Produktion werden Arbeitsplätze geschaffen beziehungsweise neu verteilt, und kürzere Transportwege schonen die Umwelt“, ergänzt Romana Rauter.
Schlüsselfaktor Digitalisierung
„Damit solche Lieferketten weltweit funktionieren, muss der Austausch riesiger Datenmengen in Echtzeit möglich sein, und wir brauchen ausgefeilte digitale Technologien in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Robotik und 3D-Druck“, unterstreicht Baumgartner. Das erfordere massive Investitionen in den Ausbau der digitalen Infrastruktur weltweit, sind sich die ForscherInnen einig. Nach der COVID-19-Krise könnten solche Investitionen einer globalen Rezession entgegenwirken.
Gleichzeitig müssten Mittel für die Aus- und Weiterbildung im Umgang mit digitalen Technologien zur Verfügung gestellt werden, um die nötigen Kompetenzen der lokalen Bevölkerung zu erhöhen. „So können Investitionen in die ‘Glocalisation‘ langfristig auch dazu beitragen, die digitale Kluft in der Gesellschaft, national und international, zu verringern“, nennt Arijit Paul einen weiteren Nutzen.
Nicht zuletzt würden auch regionale Märkte profitieren, etwa durch die verstärkte Nachfrage nach High-Speed-Internet. Darüber hinaus könnten Unternehmen auf digital kompetente MitarbeiterInnen zurückgreifen und dadurch neue Geschäftsfelder erschließen sowie neue Partnerschaften mit Unternehmen in vielen verschiedenen Regionen der Welt schließen.
Gemeinsame Verantwortung
„Damit ‘Glocalisation‘ erfolgreich sein kann, müssen alle Stakeholder dazu beitragen und in ihrem jeweiligen Bereich Verantwortung übernehmen sowie entsprechend handeln“, ist sich Baumgartner der großen, gemeinsamen Herausforderung bewusst. Sei es, dass ManagerInnen neue, nachhaltige Geschäftsstrategien entwickeln, die Politik angemessene finanzielle und rechtliche Anreize schaffe und wir alle transparente demokratische Prozesse fördern. „Wir hoffen, dass nach der COVID-19-Krise dieses Prinzip der Verbindung von Globalisierung und Lokalisierung eine Idee für eine von nachhaltiger Verantwortung und Fairness getragene Wirtschaftsordnung sein kann“, schließen die ForscherInnen in einem Beitrag, der kürzlich auf der Webseite der renommierten Forschungsgesellschaft „Academy of Management“ erschienen ist.