Ausgangssperren, Versammlungsverbote, die Schließung von Schulen, Geschäften und Landesgrenzen – in allen Teilen der Welt haben Regierungen drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie getroffen. Von großen Teilen der Bevölkerung wurden sie gutgeheißen und für legitim erachtet. Trotz weitreichender Folgen und Eingriffe in Grundrechte inklusive hoher Kosten für Individuen, Gesellschaft und Wirtschaft. Einige der aktuellen Einschränkungen haben zu einer deutlichen Senkung des CO2-Ausstoßes geführt. Wie lässt sich erklären, dass in der Corona-Krise Maßnahmen verhängt werden, die sich zur Minderung des nicht weniger bedrohlichen Klimawandels in der Vergangenheit nicht durchsetzen ließen? Lukas Meyer, Philosoph an der Universität Graz, untersucht mit seinem brasilianischen Kollegen Marcelo de Araujo, warum Staaten und BürgerInnen auf die COVID-19-Pandemie und die Klimakrise so unterschiedlich reagieren. Gleichzeitig fordern heute in einem offenen Brief ForscherInnen aus ganz Österreich die Bundesregierung auf, finanzielle staatliche Hilfen zur wirtschaftlichen Erholung von den Folgen der Corona-Krise an klare Klimaschutzziele zu koppeln.
„Als Klimaforscher und -ethiker interessiert mich, warum wir im Umgang mit der Klimakrise in den letzten 30 Jahren nicht erfolgreicher gewesen sind“, bringt Lukas Meyer eine zentrale Fragestellung seiner wissenschaftlichen Arbeit auf den Punkt. „Seit langem ist bekannt, dass sehr viele Menschen Schaden nehmen und enorme finanzielle Belastungen auf Staaten zukommen werden, wenn es nicht gelingt, die Treibhausgas-Emissionen global zu senken“, unterstreicht der Forscher und nennt ein Beispiel, wie der Klimawandel bereits jetzt Opfer fordert: „Der Hitze-Sommer 2003 hat in Europa rund 70.000 Menschenleben gekostet.“
Offenbar gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung des Risikos durch das Corona-Virus einerseits und den Folgen des Klimawandels andererseits. Lukas Meyer und Marcelo de Araujo identifizieren darüber hinaus aber noch andere Faktoren, welche die unterschiedlichen Reaktionen erklären können. Dazu zählt etwa, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie innerstaatlich umgesetzt werden können und bereits nach relativ kurzer Zeit Wirkung zeigen, während effektiver Klimaschutz internationale und Generationen überspannende Kooperation sowie langfristige Verhaltensänderungen fordert.
Einfluss und Interessen
Ein weiterer Punkt sei, so Meyer, dass sich die durch Covid-19 und die durch den Klimawandel bedrohten Gruppen stark voneinander unterscheiden. Erstere bestehe vor allem aus älteren Menschen, im zweiten Fall betreffe es die jüngere und zukünftige Generationen sowie Menschen in Entwicklungsländern. „Zur Gruppe der durch das Corona-Virus besonders gefährdeten Gruppe zählen viele EntscheidungsträgerInnen, Menschen mit gesellschaftlichem und politischem Einfluss und starken wirtschaftlichen Interessen. Die junge Generation hat in diesem Sinne nur eine schwache Stimme, zum Teil altersbedingt nicht einmal das Wahlrecht“, sagt Meyer.
Die Interessen und Rechte künftig Lebender würden bei heute getroffenen Entscheidungen überhaupt nicht oder weniger stark gewichtet. „Das ist nicht legitim“, betont der Philosoph, der sich in seiner Forschung intensiv mit dem Thema Klimagerechtigkeit befasst: „Es ist wichtig zu sehen, dass Menschen mit Blick auf den Klimawandel nicht nur für ihre eigenen Emissionen verantwortlich sind, sondern auch für die früherer Generationen, sofern sie heute noch durch deren Konsequenzen begünstigt sind. Außerdem gilt es unsere Emissionen so weit einzuschränken, dass ein gefährlicher Klimawandel und die Verletzung grundlegender Rechte vieler zukünftig lebender Menschen vermieden werden.“
Erfahrungen als Chance nutzen
Trotz aller Unterschiede im Umgang mit der Corona- und der Klimakrise sehen die Forscher aber auch einen Zusammenhang, der eine Chance in sich birgt: „Es scheint möglich, die Erfahrungen im Umgang mit der Pandemie künftig auch für die Bewältigung der Klimakrise zu nutzen“, äußert Meyer vorsichtig Hoffnung. „Wenn Wirtschaft und Gesellschaft wieder hochgefahren werden, unterstützt durch Milliarden Euro staatlicher Hilfen, sollten sich weniger emissionsintensive Praktiken in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens pflegen, fördern und institutionalisieren lassen, anstatt einfach zum Status-quo vor der Pandemie zurückzukehren“, wagt der Wissenschafter an eine langfristige Umstellung auf eine neue Normalität zu denken.
Politik muss handeln
Dass es angesichts der Klimakrise eine „Rückkehr zum gewohnten Alltag“ nicht geben kann und darf, darüber sind sich ForscherInnen aus ganz Österreich einig. Sie haben dazu heute einen offenen Brief an die Bundesregierung gerichtet. Darin fordern sie die in Folge der COVID-19-Krise geplanten finanziellen Unterstützungen an klare Klimaschutzziele zu koppeln. „Wir müssen diese unwiederbringliche Chance nützen“, unterstreicht Gottfried Kirchengast, einer der Koordinatoren des Offenen Briefs. „Es liegt in der Hand der Politik, jetzt mit den richtigen Entscheidungen zwei globale Bedrohungen durch eine gemeinsame Strategie zu überwinden.“ Gemeinsam mit Lukas Meyer ist Gottfried Kirchengast Sprecher des an der Universität Graz eingerichteten Profilbereichs „Climate Change Graz“.
Publikation
COVID-19 pandemic and climate change. Why have responses been so different?
Lukas H. Meyer and Marcelo de Araujo
veröffentlicht in e-international relations am 20. April 2020
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